Nachhaltigkeit

Ein Jahr Architektur an einem Tag

25 June 2020
Ein Jahr Architektur an einem Tag

Beatrice Galilee, Autorin, Ausstellungsmacherin und von 2014 bis 2019 erste Design- und Architektur-Kuratorin des Metropolitan Museum of Art, wo sie das jährlich stattfindende Symposion A Year of Architecture initiiert hat, spricht über ihr jüngstes Projekt The World Around, ein internationales Architekturforum, das am 25. Januar 2020 mit einer Tagung am Times Center in New York City seine Arbeit aufgenommen hat. 



Beatrice, Sie sind die Kuratorin von The World Around. Was können Sie über uns über dieses Projekt erzählen?



The World Around ist ein Forum mit Sitz in New York und einem internationalen Programm, das den aufregendsten und stärksten neuen Ideen in Design, Architektur und damit verbundenen Gebieten – Digitales Design, Neue Technologien, Ingenieurtechnik und Landschaftsgestaltung – eine Bühne bietet. Hierfür haben wir als Format eine jährlich stattfindende Konferenz gewählt und wir hoffen, dass bald andere Veranstaltungen und Orte in aller Welt dazu kommen werden. 


An der diesjährigen Konferenz im Januar in New York haben so unterschiedliche Akteure wie die Mitbegründerin von Diller Scofidio + Renfro, Elizabeth Diller, Shoshei Shigematsu vom Office of Metropolitan Architecture in New York, der japanische Architekt Junya Ishigami oder die MoMA-Chefkuratorin für Architektur und Design, Paola Antonelli teilgenommen. Ebenso mit dabei waren die Leiterin der Architectural Assosiation in London, Eva Franch i Gilabert, Catherine Ince, Chefkuratorin am dortigen Victoria and Albert Museum, der kanadische Designer Bruce Mau, David O’Reilly, Caroline Priado Perez, aber auch Emmanuel Pratt von der Sweet Water Foundation, einer Nonprofitorganisation aus Chicago, Alberto Veiga, Mitbegründer des spanischen Architekturbüros Barozzi Veiga, sowie der New Yorker Künstler Michael Wang. 

Xu Tiantian, DNA – Rural Regeneration of Sonyang Province

 

 

Was hat ein Unternehmen für Investitionsmanagement dazu bewogen, sich an dem Projekt zu beteiligen? Stellt The Word Around den Kontakt zu progressiv eingestellten Investoren auf der Suche nach alternativen Anlageprojekten her?

 

The World around wurde von Diego Marroquin ins Leben gerufen, einem Finanzmanager, der zunächst Architektur studiert hat und von der Bedeutung des Designs überzeugt ist. Das zeigt sich in allem, womit er sich befasst, von der Architektur und der Einrichtung seines Büros bis zu seinen Anlageprojekten. So eine Unterstützung ändert manches. Unsere Hoffnung ist, dass noch mehr Investoren seinem Beispiel folgen und den Business-Value erkennen werden, der sich ergibt, wenn Designer, Architekten und andere ganzheitlich denkende, kreative Akteure an einem Tisch sitzen. Auf den ersten Blick mag es nicht so einleuchtend sein, warum ein Finanzunternehmen sich mit Design und Architektur beschäftigen sollte, aber die Klimakrise wird gravierende Auswirkungen auch auf das Finanzgeschäft haben. Ein Großteil der Gesetzgebung, der gerade zur Diskussion steht, wird sich unmittelbar auf die Bau- und Immobilienbranche auswirken, die aber zu den wichtigsten Anlageformen im urbanen Bereich zählen.  

 


Was hat Sie bewogen, ein offeneres, „softeres“ Format zu wählen – Vortrags-Workshops, Retreats, Kleingruppen – und keine große Ausstellung? The World Around erinnert an die Veranstaltung Objectar el Món auf der Barcelona Design Week. Architektur ist eng mit der Lebenswelt und den Kernproblemen unserer Zeit verbunden. Wollten Sie mehr Partizipation und Interaktion, mehr Unmittelbarkeit, als Sie The World Around geplant haben?  


Als Kuratorin für Architektur setze ich mich ständig mit dem Problem auseinander, wie man  etwas so Statisches und auf den ersten Blick Unverständliches wie ein Gebäude zum Sprechen bringt. Schon in meiner Zeit am Metropolitan Museum habe ich immer Wege gesucht, meine Begeisterung für die vielen neuen Köpfe und Ideen weiterzugeben, die mir auf dem Feld Architektur begegnet sind: Akteure, die mit ganz besonderen Orten und Räumen gearbeitet haben, in Syrien, in Palästina, auf dem Feld von Virtual Reality oder den Strategien von Dating-Apps im urbanen Raum. Solche Köpfe und Ideen haben die Institutionen und die Entwicklung der Architektur stark beeinflusst. Die direkte Begegnung mit Akteuren wie ihnen ist meiner Ansicht nach extrem wichtig. Es gehört einfach zur DNA des Menschen, dass er gerne Geschichten erzählt und auf gut erzählte Geschichten reagiert. Man kann den Besuchern eine Geschichte erzählen, indem man ihnen Informationen gibt, sie Material anfassen und ausprobieren lässt. So werden Idee und Umsetzung unmittelbar begreifbar. Eine Viertelstunde lang einer Geschichte zuzuhören kann sehr viel mehr Wirkung haben, als einfach nur ein Objekt in einer Ausstellung zu betrachten. Die unmittelbare Erfahrung eines bestimmten Designobjekts lässt sich natürlich nur schwer ersetzen, aber die Vorstellungskraft, die Kreativität und die Aura, die es umgeben, die lassen sich schon vermitteln. 

Michael Wang – Extinct in New York

 

 

Im Rückblick:  Was war 2019 für Sie am auffälligsten? Konnten sie einen Paradigmenwechsel in der Architektur registrieren?


Für mich war die Architektur- und Designpraxis im letzten Jahr untrennbar mit der Klimaproblematik und der Klimabewegung verbunden. Ein Wendejahr, hin zu mehr Verantwortung für unseren Planeten, zu mehr Materialbewusstsein, zu mehr Nachdenken über die Auswirkungen, die Architektur und Design auf die Umwelt haben. Die Fridays for Future-Streiks waren da ein sehr wichtiger Moment, sie haben entscheidend dazu beigetragen, der Klimakrise ein Gesicht zu geben. Greta Thunberg in den Medien zu sehen, wie artikuliert und wie eindringlich sie dort auftrat, war schon beeindruckend. Auch zu sehen, wie Schulkinder ihre Sorgen um den Planeten bis in die Parlamente gebracht haben, war großartig; wie sie mit ihren handgemalten Plakaten auf die Straße gegangen sind, auf denen stand „There is No Planet B“, wie sie von ihren Eltern verlangt haben, ihren Lebenstil zu ändern und an das Wohlergehen des ganzen Planeten zu denken. 


Ich glaube, dass mehr und mehr Unternehmen nicht einfach nur Lippenbekenntnisse zum Recycling und zu umweltbewusstem Design abgeben wollen, sondern wirklich verstanden haben, dass sich etwas ändern muss und dass diese Dinge endlich zum verbindlichen Standard werden müssen. Meiner Ansicht nach sollten wir endlich dahin kommen, dass wir uns nicht mehr einfach nur auf die Schulter klopfen, wie wichtig uns Gendergerechtigkeit, Diversität und ethische Produktionsbedingungen sind … Das alles muss zu einer Grundvoraussetzung unseres Handelns werden und zwar in allen Bereichen unseres Lebens und Arbeitens. 
Deshalb war auch „reconnecting“, die Rückkehr zur Verbundenheit, eines der Grundthemen unserer Diskussion im Januar in New York. Die westlichen Industriegesellschaften haben seit mindestens zwei Jahrhunderten immer stärker die Verbundenheit zu unserem Planeten verloren. Auch auf Regierungsebene wollte man oft keine Verantwortung mehr für die Umwelt übernehmen. Designer weisen uns den Weg, wenn sie betonen, wie wichtig es ist, die Bedeutung der Ressourcenschonung und des sozialen Ökosystems zu verstehen, wenn es darum geht, Wohnen zu gestalten. Man konnte erleben, wie Designer und Architekten den Erfolg der Projekte, über die sie sprachen, an Kriterien wie Empathie und Mitgefühl festmachten.

Paola Antonelli – Broken Nature

 

 

Architektur und Design werden historisch mit Fortschritt und Zukunftsgestaltung assoziiert (was auch für die Design-Pioniere des 21. Jahrhunderts gilt). Was bedeutet Zukunft Ihrer Ansicht nach für die Kreativ-Welt heute?

Ich hege eine große Vorliebe für Sciencefiction, zuletzt habe ich deshalb viel „Klima-Fiktion“ gelesen, „Cli-Fi“, wie das abgekürzt so wunderbar heißt. Klimafiction ist tief in einem dystopischen Blick auf die Zukunft verwurzelt, und das entspricht auch meiner Zukunftserwartung. Ich bin in London aufgewachsen, mit vier klar voneinander zu unterscheidenden Jahreszeiten (und wenn es zu Temperaturabweichungen kam, war das eine kleine Sensation und stand in der Zeitung). Das ist heute vorbei. Genau wie ein Europa ohne Grenzen – oder eine Welt ohne extreme Umweltkatastrophen, ohne Krieg, ohne Armut. Utopisches Potenzial für die Zukunft kann ich da kaum noch erkennen … Aber ich weiß, dass es Menschen gibt, die das können, und nach solchen Menschen suche ich! Design und Architektur in Theorie und Praxis sind in einer sehr interessanten Position, denn sie stehen immer ein wenig zugleich in der Vergangenheit und in der Zukunft. Dahinter steckt Notwendigkeit, aber auch Überzeugung; daher die spekulative Dimension, die Hoffnung, die enorme Vorstellungskraft und die Leidenschaft für die Sache, die ja gebraucht werden, um solche Ideen Wirklichkeit werden zu lassen. 

Josh Begley – Best of Luck with the Wall

 

 

Was kann ein solcher Zukunftsoptimismus für Architektur und Design bedeuten?


Was wir als Gesellschaft am meisten brauchen, um zu überleben, sind Kreativität und Ideen. Große Visionen und Projekte, eine neue Infrastruktur, verändertes Regierungshandeln, das ist es, was wir brauchen. Und das alles hängt ganz wesentlich auch von neuen Design-Ideen ab. Im Januar in New York hat uns zum Beispiel die Landschaftsarchitektin Julia Watson neue Perspektiven vermittelt, wie man aus dem westlichen Denken herauskommt. Ihre Fallstudien können zeigen, wie man sich in indigenen Kulturen gegen die Naturgewalten wappnet und dabei von Generation zu Generation weitergegebenes Erfahrungswissen eine Rolle spielt. Auch Junya Ishigami hat wunderbare neue Ideen entwickelt. 

 


Wie geht es weiter? Wie wird The World Around sich weiter entwickeln?


Meine Hoffnung ist, dass The World Around zu einer starken Stimme für Design und Architektur wird. Dazu wollen wir Menschen ein Forum bieten, die schon jetzt mit Akteuren und Unternehmen zusammenarbeiten, die über die Ressourcen und Verbindungen verfügen, um echten Wandel herbeizuführen.